Zeitraum: | 20.02.2023 - 26.03.2023 |
Revier: | Atlantik, Karibik, Grenada, Prickly Bay - St Vincenz und die Grenadinen, Bequia |
Boot: | eMMa - Moody 44 |
Crew: | Markus Melanie |
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Wochenbericht 53 - Das Paradies ist grau!
Der obergenannte Zeitraum war für uns beide eine harte und schwierige Zeit. Und er ist mit verantwortlich dafür, dass die Wochenberichte erst jetzt, im Juli 2023, nach und nach ihren Weg auf die Homepage finden. Warum das Paradies allerdings vorübergehend grau war, versucht Melanie an dieser Stelle für euch in Worte zu fassen:
Darf man auf seiner Homepage, die von dem Abenteuer seines Lebens berichtet, über Depressionen schreiben. Ich finde nicht nur, dass man es darf, ich finde auch man muss! Und so versuche ich jetzt zu erklären, was es mit dem grauen Paradies auf sich hat:
Eines vorweg, es gab keinen richtigen Auslöser. Ich hatte vor mehr als 15 Jahren bereits Depressionen, weiß also genau, wie es sich anfühlt, nur damals gab es ganz viele Auslöser, die den Ausbruch dieser Erkrankung gefördert haben. Ich war damals in Therapie, habe seitdem sehr viel an mir gearbeitet, meine Grenzen genau kennengelernt und passe gut auf mich auf, damit ich nicht wieder aus dem Gleichgewicht komme. Vielleicht habe ich dieses Mal die Anzeichen einfach nicht gesehen, die kleine Stimme im Hinterkopf immer wieder verbannt. Vielleicht haben sie sich auch einfach in der Anspannung vor der Atlantiküberquerung, den vielen Vorbereitungen, der Vorfreude darauf, aber auch den Ängsten, die damit verbunden sind, versteckt. Ebenso haben sie sich bei der Atlantiküberquerung hinter Schlafmangel und zermürbenden Wellenbewegungen verschanzt. Sie haben sich unsichtbar gemacht, hinter dem Tod von Julians Freund Nico, der uns sehr geschockt hat, den Tod von S. (eine Patientin, die Melanie viele Jahre mit betreut hat) und auch hinter zwei weiteren völlig unerwartete Todesfälle bei der Nala im Familien- und Freundeskreis. Die Anzeichen haben die Aufregung und das Beschäftigt sein während des Nala-Besuches genutzt, um unterzutauchen und dann, nach einer kurzen Phase des Zur-Ruhe-Kommens ziemlich kraftvoll zuzuschlagen.
Ich konnte nichts mehr machen. Ich saß da, funktionierte an Stellen, wo ein Funktionieren absolut notwendig war, zum Beispiel bei meiner Arbeit und konnte in der restlichen Zeit nichts tun. Ich saß da und starrte aufs Wasser. Und obwohl drumherum die Sonne schien, das Wasser in den schönsten Blau- und Türkisfarben leuchtete, nahm ich nur Grau war. Ich konnte mich zu nichts aufraffen, hatte keine Lust auf Aktivitäten, alles fühlte sich wie eine unendliche Anstrengung an. Das Leben war eine unendliche Anstrengung in dieser Zeit und das Gefühl, dass die Welt ohne mich besser dran wäre, nahm zu. Bis es sich an einem Abend in einem heftigen Streit zwischen Markus und mir entlud. Es ging um eine Kleinigkeit und ehrlich gesagt kann ich mich nicht einmal mehr daran erinnern, um was es genau ging. Aber dieser Auslöser brachte meine Fassade zum Einsturz und in der Situation flossen Worte und Tränen. Markus war geschockt, traurig, frustriert und sehr besorgt zugleich und trotzdem war er das, was er seit 28 Jahren für mich ist - er war für mich da! Der Abend endete ruhig und der nächste Morgen begann mit einer Tabula rasa. Alles kam auf den Prüfstand! Schaffe ich und kann ich meinen Job weitermachen? Ist diese Form zu Reisen für uns noch das Richtige? Wäre eine Rückkehr nach Deutschland besser? Ist es vielleicht besser, dass sich die Wege von Nala und eMMa jetzt und hier trennen, statt erst in knapp drei Monaten? Auch viele andere Lebensbereiche kamen auf den Tisch, alles wurde auf links gekrempelt und genau unter die Lupe genommen. Was hilft mir? Was kann mir helfen? Was muss verändert werden? Was unterstützt meine Genesung? Diese Gespräche zogen sich über mehrere Stunden und Teile davon auch über Tage, denn oft fehlte mir die Kraft und ich brauchte Pausen dazwischen. Aber am Ende dieses langen Tages standen mehrere Dinge fest: Ich schaffe das gemeinsam mit Markus Unterstützung, denn wir haben das schon einmal gemeinsam geschafft! Und diese Art zu Reisen ist nach wie vor das Richtige für uns, denn eMMa ist unser Zuhause. Sie gibt mir Kraft, Sicherheit und Selbstbestimmtheit. Und die Erkenntnis, dass es mich in Deutschland ebenso wieder hätte einholen können und ich da dann auch noch in einem ekeligen nasskalten Grau hätte sitzen müssen. Hier in der Karibik ist es deutlich einfacher dank der bunten Farben, der überwiegend scheinenden Sonne und dem warmen Wasser den Blick wieder auf kleine Lichtblicke zu richten und eine positive Denkweise zu üben, damit diese irgendwann auch wieder mein Herz berühren können.
Eine große Entscheidung stand nun noch aus. Fahren wir gemeinsam mit der Nala weiter? Die Vorstellung einer möglichen abrupten Trennung ließen meine Tränen wieder fließen. Trotzdem entschieden wir, dass wir diese Entscheidung nicht alleine treffen, sondern Manuela und Christoph um ein Gespräch bei uns an Bord bitten werden. So kamen die zwei zu uns herüber und Markus hat ihnen die Situation erklärt. Ich bewundere ihn dafür, wie er immer wieder die passenden Worte findet! Behutsam und vorsichtig, aber ohne Schnörkeleien und Schönreden! Für die Beiden war klar, dass sie auch die letzten Wochen noch gemeinsam mit uns erleben möchten und uns dabei unterstützen, damit ich heilen kann. Auch wenn das heißt, dass sie ihre Ideen eventuell etwas zurückstecken müssen. Und wieder einmal zeigte sich, dass wahre Freunde einfach so in dein Leben stolpern und dann mit voller Absicht bleiben! Danke euch allen vier für eure wunderbare Freundschaft! Denn sie hat, gemeinsam mit Markus, mein Leben gerettet!
In den vergangenen Wochen hatte sich zwischen Alfred und mir eine enge Freundschaft entwickelt und so wollte ich ihm selbst erklären, was mit mir im Moment los war und was das nun weiter heißt. Manuela und Christoph waren damit einverstanden und brachten Alfred zu uns, während sie Theo vom aktuellen Stand in Kenntnis setzten. Alfred hörte sich alles genau an, was ich ihm erklärte, stellte Fragen, nahm mich in den Arm und sagte, dass es ihm leid tue, dass es mir gerade nicht gut geht. Und mir tat es leid, dass ich ihm mit diesem Gespräch Kummer bereiten musste. Doch nur so wussten alle, worum es ging.
Mit diesen drei so wichtigen Gesprächen leiteten wir also meine Genesung ein. Es ging langsam voran, oft gab es Tage wo es stockte, wo ich mich lieber verkriechen wollte, wo ich keine Kraft und Energie für mehr als das absolut notwendigste hatte. Aber es gab auch die kleinen Momente, die wieder Freude versprachen, wo ich das Schwimmen im Meer wieder wahrnehmen und genießen konnte, wo ich mich traute, mit meiner Freundin Doro zu schreiben und ihr zu sagen, wie es mir gerade geht.
Unseren Kindern und meiner Familie in Deutschland erzählte ich nichts. Zum einen wollte ich nicht, dass sie sich auch noch Sorgen um mich machten, es reichte schon zu wissen, dass diese fünf Personen, die jeden Tag mit mir Kontakt vor Ort hatten, sich große Sorgen machten. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass es sowieso niemand verstehen könnte, denn schließlich ist die Karibik doch toll! Wie kann man da Depressionen haben! Ich telefonierte vielleicht etwas weniger als sonst, aber trotzdem relativ regelmäßig, mit meiner Familie und unseren Kindern, aber ich ließ sie erzählen. So musste ich nicht lügen, aber auch nichts selbst erzählen.
Eines Tages telefonierte ich dann mit meiner Schwester Katrin und sie fragte mich, wie es mir gehe. Da habe ich dann meinen ganzen Mut zusammen genommen und es ihr erzählt. Sie hörte mir zu, stellte Fragen und tröstete mich. Danke Schwesterherz! Sie verstand mich auch, als ich ihr von den Stimmungsschwankungen im Verlauf meines Zyklus in den letzten Jahren erzählte. Dass das immer mehr und teilweise für mich schon unerträglich wurde. Es gab Tage, da konnte und kann ich mich auch heute noch nicht dann selbst leiden. Heute weiß ich, dass es am einfachsten ist und am schnellsten wieder geht, wenn ich die Situation annehme, wie sie ist. Katrin gab mir noch einen sehr guten Tipp dazu und zu Vitaminen mit auf den Weg und öffnete mir damit die Augen.
Denn auch wenn es nach und nach etwas besser ging, trotzdem blieb dieser Zweifel, warum so plötzlich? Auch Angst war in dieser Frage dabei, denn wenn es mich jetzt so heftig erwischte, dann kann es doch auch jederzeit wiederkommen, oder?
Aber zu akzeptieren, dass ich nun mal auch nicht jünger werde, dass Menopausen nicht von heute auf morgen kommen, sondern sich auch gerne mal 10 Jahre lang dahinschleppen, ließ bei mir einen Stein vom Herzen purzeln. Auch die Erkenntnis, dass zwar in der Karibik sehr oft die Sonne scheint, wir aber permanent versuchen uns im Schatten aufzuhalten, um die Haut nicht übermäßig zu belasten und dadurch aber mein Vitamin-D-Mangel, dem ich bereits viele Jahren lang (auch schon in Deutschland) mit hochdosierten Vitamin-D-Tropfen entgegen wirken musste, dann doch auch wieder zum Tragen kommt, machten es deutlich leichter. Viele Gespräche mit Markus, Manuela und Christoph, verbunden mit der erneuten Einnahme von Vitaminen, gaben dem Genesungsprozess einen kräftigen Schub nach vorne. Und nach und nach nahm ich wieder wahr, konnte wieder das Schöne sehen, öffnete mich auch der einen und anderen Freundin per WhatsApp.
Unternehmungen wurden geplant und die Absprache war immer, ich entscheide kurzfristig, ob ich mitkommen oder nicht. Und Markus entscheidet nach meinem Zustand, ob er mich alleine lassen möchte oder nicht. Immer wieder ging ich über meine Grenzen und bekam dann die Quittung, weil es doch zu viel war, der Weg zu weit, die Energie für zwei Dinge noch nicht reichte. Zwischendurch gab es Rückschläge, auch weil Markus leider mit einem Nierenstein kämpfen musste, der bekannt, bisher aber ohne Symptome blieb. Zum Glück verlief alles, auch dank sehr gut ausgestatteter Bordapotheke, komplikationslos und nach kurzer Zeit war er wieder fit. Fit für mich, fit fürs Tauchen, fit für Bequia. Wir verbrachten gemeinsam mit den Nalas gute Wochen auf Bequia (man spricht es übrigens wie Backway aus). Bequia wird für mich immer eine besondere Insel bleiben aus ganz vielen verschiedenen Gründen, einer davon ist, dass Bequia geholfen hat meine Seele zu heilen. Auch die Freude am Tauchen habe ich auf Bequia wieder gefunden, damit macht es einem die Insel aber auch wirklich leicht.
Viele Dinge und Erlebnisse sind in meiner Erinnerung von diesem „Dauergrau-Ton“ überzogen. Es ist ein wenig so, als wenn man ständig nur schwarz-weiß Bilder anschaut. Aber es gibt auch einige Erinnerungen an Erlebnisse, die in den schillerndsten Farben wieder glänzen konnten. Dazu gehört unser Ausflug zur Turtle Farm, eine Aufzuchtstation für Hawksbill-Schildkröten. Die Schildkröten werden als Babys eingefangen und kommen hierher. Dann werden sie etwa 6 Jahre lang behütet, bewacht und versorgt und nach dieser Zeit wieder in die freie Wildbahn ausgewildert. Auch der Gestank der Braunalgen auf der Ostseite der Insel wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Diese Algenplage ist für manche Restaurants und Hotels zum Verhängnis geworden, denn wer möchte schon auf der Terrasse sitzend essen, wenn es nach Markgrafenheide im Hochsommer riecht? Theos Geburtstag hat bei mir ebenfalls ein schönes und buntes Bild hinterlassen, genauso wie der Tauchgang beim Stratman Wrack.
Und so konnte ich Woche für Woche mehr feststellen, dass das Paradies nicht grau, sondern schillernd bunt ist!
Alle Bilder zum Wochenbericht 53 seht ihr, wenn ihr auf das Foto klickt.