Zeitraum: 03.10.2022 - 16.10.2022
Revier: Mittelmeer, Italien, Elba - Spanien, Motril
Boot: eMMa - Moody 44
Crew: Markus
Melanie


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Wochenbericht 45 - Wir drücken auf die Tube

Montag, 03.10.2022 - Heute ist dann endgültig Markus letzter Arbeitstag an der Tauchbasis. Eigentlich war der ja schon am Freitag, aber die Basis hatte angefragt, ob er nicht noch zwei Wochen länger bleiben könne. Arbeit ist mehr als genug da. Wir haben dann erklärt, dass das nicht geht und auch das war völlig okay. Aber solange wie unser Wetter noch nicht zum Weiterfahren passt, würde Markus noch unterstützen. Und das hat er die letzten Tage auch noch gemacht. Heute fährt er noch einmal das Tauchboot. Unsere Tauchausrüstungen hat er bereits vorgestern mitgebracht und verstaut. Und nun heißt es Abschiednehmen von den vielen Menschen die uns beiden ans Herz gewachsen sind. Mit Sarah, Guido und Rico gehen wir abends noch einmal gemeinsam in einem Restaurant essen und genießen einen wunderschönen Ausblick über die Bucht und den Sonnenuntergang. Rico ist anschließend so lieb und bringt uns mit dem Wagen nach Porto Azzurro. Das der Abschied von allen schwer ist, dürfte jedem klar sein.

Dienstag, 04.10.2022 - Am Morgen frühstücken wir eine Kleinigkeit und wollen Anker auf gehen, aber es geht nicht. Die Kette hängt fest. Markus fackelt nicht lange, zieht sich seine Badehose und den Shorty an und springt ins Wasser. Zunächst taucht er Apnoe die Kette und den Anker ab. Unsere Kette hat sich um ein großes Schiffswrack gewickelt und verklemmt. Gut, dass wir unsere Tauchausrüstung an Bord haben. Die Handgriffe sind bei Markus in den letzten Monaten ja schon Routine geworden. Zwei Stunden später ist die Kette endlich wieder frei und wir gehen Anker auf. Gerne würden wir direkt los, allerdings steht zunächst noch Tanken an der Bootstankstelle in Porto Azzurro auf dem Plan, denn wir rechnen mit vielen Flautenphasen bis Mallorca. Melanie liefert ein perfektes Anlegemanöver ab und wir tanken 200 Liter Diesel. Am Steg spricht ein begeisterter Moody-Fan Melanie an. Er hat sich die Moody 44 1995 in Düsseldorf auf der Boot angeschaut und war sofort schockverliebt. Leider ließ der Neupreis ihm keine Möglichkeit den Traum zu verwirklichen. Als er eMMa dann anlegen sah, hat er die Moody sofort erkannt und schwelgt in Erinnerungen. Aktuell ist er mit einer Crew gemeinsam auf einer Charteryacht unterwegs. Dass er heute Nacht von einer Moody träumen wird, ist klar! Markus Ablegemanöver mittels Eindampfen in die Achterspring gelingt ebenfalls perfekt und endlich geht es los. Als wir bereits bei der Ausfahrt aus der Bucht von Porto Azzurro die Segel setzen können, freuen wir uns sehr. Noch reicht der Wind alleine zwar nicht aus, aber 4 sm weiter pustet er uns dann stetig südwärts und der Motor darf Pause machen. An Bord bildet sich die uns gut bekannte Blase. Völlig abgeschirmt von der Außenwelt nehmen wir unseren Wachwechsel-Rhythmus wieder auf.

Mittwoch, 05.10.2022 - Mitten in der Nacht schläft der Wind dann ein und kommt auch leider für die nächsten 12 Stunden nicht wieder. Trotzdem freuen wir uns über die bisher gesegelte Strecke, denn von der Vorhersage her hatten wir damit gerechnet, dass wir die komplette Strecke motoren müssen. Am Nachmittag erreichen wir die Straße von Bonifatius, eine Meerenge zwischen den Inseln Korsika und Sardinien. Der Wind frischt kräftig auf, wir laufen nur unter Großsegel 5,5 kn. Zu unserer Überraschung hält sich der Schiffsverkehr in der Straße von Bonifatius wirklich in Grenzen. Wir hatten mit deutlich mehr Verkehr gerechnet. Sieht das Gebiet auch auf der Karte so klein aus, so brauchen wir insgesamt bald 24 Stunden für die komplette Durchfahrt.

Donnerstag, 06.10.2022 - Um Mitternacht passieren wir den nordwestlichsten Zipfel Sardiniens und bereits eineinhalb Stunden später setzen wir die Passatsegel. Der fast volle Mond erhellt uns die Nacht. Die Stunden ziehen dahin. Wir wechseln uns ab. Wache, schlafen, essen, trinken, Wache, schlafen, essen, trinken. Wir hören Hörbücher oder Musik, manchmal singen wir auch lauthals mit. Wir spielen Switch. Kochen, reden, hängen unseren Gedanken nach. Wir genießen es sehr wieder unterwegs zu sein. Kommen mit den Wellen und dem Wind gut zurecht. Keiner von uns wird auch nur ansatzweise seekrank. Gut so! Der Wind schläft zwischendurch ein paar Stunden lang ein, lässt uns anschließend aber auch wieder segeln. Es läuft einfach! Unsere Passatsegel sind super.

Freitag, 07.10.2022 - Nach 24 h müssen wir das erste Mal doch glatt die Segelstellung ändern. Wir wechseln von Passatbesegelung auf Groß und Genua. Auch Frieda, unsere Windfahne, macht ihren Job sehr zuverlässig. Am Abend zieht sich der Horizont dunkel zu. Oh je, da kommt was auf uns zu. Wir schalten zunächst mal unser Radar ein. Mittels Radar kann man nämlich nicht nur andere Schiffe, Land oder ähnliche Hindernisse erkennen, sondern auch Regenfronten grafisch darstellen. Was wir nun zu Gesicht bekommen ist nicht lustig. Der Radarschatten zeigt eine Gewitterfront von etwa 8 sm Länge und mindestens 3 sm Breite. Leider zieht das Gewitter mit der langen Seite auf uns zu. Wir werden mitten hinein geraten. Also bereiten wir uns auf Sturmböen, Blitz, Donner und Starkregen vor. Segel wegrollen, Motor starten, Ölzeugjacken anziehen, Rettungswesten und Lifebelts haben wir eh an. Wir beobachten die Situation genau. Abwarten, mehr ist gerade nicht möglich. Dann setzt der Regen ein, dicht gefolgt vom Starkwind. Es pfeift heftig, der Starkregen peitscht über die Wellen, die sich ordentlich auftürmen. Blitze zucken im Sekundentakt um uns herum, gefolgt von Donnerschlägen. Es ist stockdunkel, wenn die Blitze nicht gerade die heraufziehende Nacht erhellen. Wir entscheiden uns für eine Kursänderung, in der Hoffnung, dass die auf dem Radar angezeigte Breite wirklich nur 3 sm beträgt. Zweieinhalb Stunden später liegt das Gewitter endlich hinter uns. Nach wie vor ist die Nacht stockdunkel, hinter uns und an Steuerbord zucken weiterhin die Blitze am Himmel. Unser Track auf dem Plotter weist eine Zickzack-Linie auf. So ist also sogar auf unserem Track das Gewitter als Blitz gekennzeichnet. Der Motor muss leider weiterlaufen, da der Wind zum Segeln nun nicht mehr ausreicht.

Samstag, 08.10.2022 - In den frühen Morgenstunden liegt Menorca querab und wir haben auch wieder Internetempfang. Die Wettervorhersage bestätigt nicht nur die Flaute, sondern teilt uns ebenfalls mit, dass wir auch die nächsten Stunden nur unter Motor weiter kommen würden. So fällt unsere Entscheidung darauf den Anker in einer Bucht im Westen Menorcas in den Sand zu graben. Wir haben die Bucht komplett für uns alleine. Tagsüber kommen einige Schwimmer und SUP-Fahrer an uns vorbei. Wir haben nicht das Bedürfnis an Land zu gehen, so dass auch unser Dinghy an Deck verzurrt bleibt. Abends fallen wir in unserer Koje in den Tiefschlaf.

Sonntag, 09.10.2022 - Wir frühstücken gemütlich und besprechen das Wetter und die Ideen für die nächsten Tage. Nach dem Frühstück lichten wir den Anker. Markus steht am Ruder, Melanie bedient die Ankerwinsch. Beim Einholen der letzten zwei Meter der Kette bildet sich ein Kettentürmchen auf dem Einfall-Loch für die Ankerkette und verklemmt sich so fest unter der Kettennuss, dass die Sicherung fliegt. Okay, dafür ist eine Sicherung ja da. Doch leider fliegt nicht die Sicherung der Ankerwinsch raus (wie es eigentlich sein sollte), sondern die Hauptsicherung. Plotter aus, AIS aus, Funk aus, Autopilot aus und Ankerwinsch aus. Letzteres ist gerade nicht ganz so schlimm, da der Anker ob ist. Melanie sichert ihn wie gewohnt. Um das Kettentürmchen werden wir uns später kümmern müssen. Melanie übernimmt das Ruder, steuert von Hand, nimmt Kurs auf die östlichste Spitze von Mallorca und hält gut Ausschau nach Seglern und Fähren, die hier gerade zuhauf herumflitzen. Markus macht sich unter Deck auf die Fehlersuche. 20 Minuten später hat er die Stromversorgung wieder hergestellt und Melanie tätigt einen Anruf bei den Nalas: „Manuela, habt ihr schon die Amazon-Bestellung abgeschickt?“, „Nein, wieso? Braucht ihr noch etwas?“, „Ja, wir brauchen neue Schmelzsicherungen. Markus sucht die jetzt gleich mal raus und schickt die Angaben euch rüber. Könnt ihr die dann bitte noch mit bestellen?“, „Ja klar, kein Problem!“ Es ist so gut, wenn man so liebe Freunde hat! Nun widmen wir uns der Auflösung unseres Kettentürmchens. Mit etwas WD-40, einem Schraubendreher und etwas Geduld lässt sich die Kettennuss seitlich entlasten und gibt so die Kette wieder frei. Der Wind bläst achterlich und wir setzen die Passatsegel. In den folgenden Stunden genießen wir schönstes Sonntagssegeln und auch Frieda kommt wieder zum Einsatz. Es läuft und so passen wir unsere Ideen vom Vormittag an und beschließen Mallorca auszulassen. Am Abend ziehen wir uns noch einmal aktuelle Wetterdaten. Der Wind dreht etwas. Da aber in der nächsten Nacht eine weitere Gewitterfront über uns hinwegziehen soll, beschließen wir zwischen Ibiza und Formentera durchzugehen. Das bedeutet für uns die Passatsegel gegen Groß und Genua zu tauschen.

Montag, 10.10.2022 - So läuft eMMa stabil und sicher Richtung Ibiza und unser Leben an Bord nimmt seinen gewohnten Gang. Es ist ein bisschen Leben in einer Blase, kaum Kontakt zur Außenwelt, nur aufs Wesentliche beschränkt. Steuern, Kurs und Segel kontrollieren, kochen, essen und trinken, Abwasch machen, schlafen oder ausruhen, Gedanken ziehen lassen, Lesen oder Hörbuch hören, Spiele spielen - ein einfaches Leben leben. Am späten Abend müssen wir den Motor anwerfen. In der Ferne sehen wir nun bereits wieder Wetterleuchten, aber das Gewitter ist noch sehr weit entfernt.

Dienstag, 11.10.2022 - Um Mitternacht sind wir wieder in Landnähe, so dass wir uns neben den aktuellen Wettervorhersagen auch das Regenradar und die Live-Gewitter-Situation online anschauen können. Herrje! Da kommt ja wieder eine heftige Gewitterfront auf uns zu. Wir steuern eine Bucht auf der Südwestseite von Ibiza an. In dieser Bucht haben wir bereits im April ein paar Tage gelegen, um eine Schlechtwetterfront abzuwettern. Der Anker fällt in fast komplett glatter See. Wir liegen herrlich ruhig. Und selbst, als uns die Ausläufer des Gewitters erreichen und der Starkwind einsetzt, schaukelt uns lediglich eine Windsee kurzzeitig durch. Der Großteil des Gewitters zieht über Formentera weg. Unser Anker hält gut und sicher. Wir haben uns also wieder für die passende Bucht entschieden.
Nach ein paar weiteren Stunden Schlaf gehen wir um 9 Uhr am Morgen bereits wieder Anker auf. Wir hatten keinen Wecker gestellt. Wir sind noch so sehr in unserem Wachrhythmus, dass wir sowieso nicht mehr als drei Stunden am Stück schlafen. Nach dem Ablegen setzen wir die Passatsegel und Markus legt sich wieder hin. Für die nächsten Stunden wird es ein ständiger Wechsel zwischen Segeln und Motoren. Irgendwie kann sich der Wind zunächst nicht so richtig für eine konstante Stärke entscheiden. Die Richtung stimmt aber schon mal. Zwei kräftige Regenschauer müssen wir über uns ergehen lassen, aber wenigsten herrscht kein Gewitter. Dann passt die Windstärke, aber die Wellen nehmen deutlich zu, eine Kreuzsee, also Wellen aus zwei verschiedenen Richtungen, bremsen eMMa in ihrer Geschwindigkeit immer wieder drastisch ein. Am Abend sichten wir Delfine! Wie immer können wir uns daran nicht sattsehen. Und nach dem tierischen Besuch frischt der Wind weiter auf. Endlich passen Wind und Welle zueinander und eMMa galoppiert mit 6-8 kn über das Meer.
Um halb zwölf mitten in der Nacht weckt Markus Melanie aus ihrer Freiwache mit den Worten „Komm mal bitte schnell nach oben! Ich glaube, da ist ein Flüchtlingsboot!“ Melanie ist sofort hellwach. Der Vollmond steht am Himmel und leuchtet die Wellenberge an, was das Sehen aber nicht erleichtert. Wir hören hinter uns Rufe, sehen kleine Taschenlampen vom Handy winken und hören einen Außenbordmotor aufheulen. Das kleine offene Holzboot kommt näher. Sie haben Mühe mit eMMa mitzuhalten und wir brauchen ein Moment um die Passatsegel zu reffen und somit unsere Fahrt deutlich zu reduzieren. Wir sind 40 sm draußen vor der Festlandküste Spaniens. Der Wind weht von Nord nach Süd, eher etwas vom Land weg. Die Wellen laufen mit rund 1,5 bis 2,5 m aus der gleichen Richtung, also quer zum Festland. Wir holen unsere helle Tauchlampe und zählen im Boot 11 Personen, darunter eine Frau und mindestens zwei Jugendliche. Zum Glück sind keine kleineren Kinder dabei und auf dem ersten Blick scheint es auch allen Personen soweit gut zu gehen, das heißt, es ist niemand verletzt. Einige sind seekrank und übergeben sich regelmäßig über die Reling, dehydriert werden sie wahrscheinlich alle sein, denn sie sind bestimmt schon einige Zeit unterwegs. Markus setzt ein Mayday Relay ab, das ist ein Funk-Notruf, wenn man für einen dritten Beteiligten den Notruf tätigt. Er wird mehrfach an andere Funkstationen weitergeleitet, bis MRCC Valencia zuständig ist. Sie stellen viele Fragen. Melanie nimmt derzeit durch rufen Kontakt zu dem Boot auf, fragt ob alle soweit okay sind. Die Kommunikation gestaltet sich schwierig. Wind und Wellen sind tierisch laut, dazu der Außenborder des kleinen Bootes und die Menschen darauf sprechen kaum Englisch. Aber irgendwie klappt die Verständigung. Von Valencia bekommen wir die Info, dass der Helikopter in etwas mehr als einer Stunde hier sein wird.

Mittwoch, 12.10.2022 - Minuten werden zu Stunden. Immer wieder treibt das kleine Boot etwas achteraus. Dann folgt bei uns das bangende Hören. Ist der Außenborder aus? Ist das Benzin alle? Wir haben unsere Segelfläche auf Badetuchgröße reduziert und machen noch immer 2,5 bis 4 kn Fahrt über Grund. Wie gehen wir vor, wenn deren Außenborder versagt? Bei diesen Bedingungen ist es fast unmöglich, dass dieses kleine Boot gefunden wird! Die Anspannung bei uns ist groß, aber wir bleiben zuversichtlich. Nach einer Stunde sehen wir den Hubschrauber am Horizont auf uns zufliegen. Eigentlich sollte er über Kanal 4 Kontakt mit uns aufnehmen, was er aber nicht tut. Also heißt es erst einmal abwarten. Das kleine Boot lässt sich noch weiter achteraus treiben, fast sind sie auch für uns schon nicht mehr zu sehen. Der Helikopter schaltet seinen Suchscheinwerfer ein und fliegt in relativ großen Kreisen um uns herum. Der Lichtkegel tanzt über die Welle und verpasst das Boot um etwa 50 Meter. Es wird dadurch nicht gesichtet. Nun nimmt der Hubschrauber dann doch noch Funkkontakt zu uns auf, wenn auch auf Kanal 16. Er fragt, wo das Boot ist, wir erklären ihm die Position. Das Rettungsschiff vom SAR ist unterwegs, heißt es aus dem Funkgerät. Es braucht etwa eine Dreiviertelstunde bis es uns erreichen wird. Wir geben diese Info an die Flüchtlinge im kleinen Boot weiter. Der Jubel und die Dankbarkeit sind riesig. Wir fühlen uns sehr demütig. Diese freundlichen, dankbaren Menschen haben eine Tortur hinter sich, die für uns kaum nachvollziehbar ist. Wir wissen, wie das Meer bei solchen Bedingungen ist, wir kennen auch das Gefühl, wenn das Schiff hin und her geworfen wird, wie es sich anfühlt seekrank zu sein, wie winzig und unbedeutend man sich nachts mitten auf dem Meer fühlt. Aber wir haben ein starkes, gutes Segelboot mit einer warmen Kajüte, trockenen Schlafplätzen, Essen und Trinken für mehrere Tage, mit Navigationsinstrumenten und Kommunikationsmitteln, auch in Reserve. Und wir haben das Segeln langsam gelernt, unsere Grenzen vorsichtig und behutsam erweitert. Wie hoffnungslos müssen die Menschen die Situation in ihrer Heimat einschätzen, damit sie sich auf so eine ungewisse und teure Reise begeben. Viele der Menschen können nicht einmal schwimmen. Und sie sitzen dann, teilweise sehr beengt, über Tage in einem kleinen, offenen Boot. Wind, Regen, Gewitter, Wellen, Flaute - alles wirkt ungefiltert auf sie ein. Angst und Seekrankheit vermischen sich mit der Hoffnung auf ein besseres Leben, für sich selbst, aber auch für die Familienangehörigen zuhause. Und dann kommen sie (im besten Fall lebend und unverletzt) in einem fremden Land an, Bürokratie überschüttet sie, schränkt sie ein, schiebt sie im schlimmsten Fall sogar wieder in die alte Heimat ab. Für die allermeisten läuft es (lange Zeit) ganz anders als erträumt. Als dann eine weitere Stunde später der SAR-Kreuzer da ist und Boot und Flüchtlinge sicher an Bord nimmt, sind wir natürlich erleichtert. Heute Nacht ist hierbei niemand gestorben. Wir wissen, dass das nicht immer so ist. Jedes Jahr sterben mehr als 1000 Menschen im Mittelmeer bei ihrer Flucht. Auch Stunden später lässt uns das Thema nicht los. Wir reden viel miteinander. Unendlich viele Fragen kreisen in unseren Köpfen. Wer trägt die Verantwortung? Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es, auch um die Bedingungen vor Ort zu verbessern? Was sind die Beweggründe für die Menschen ihre Heimat zu verlassen? Welche Alternativen gibt es? Tausend Gedanken beschäftigen uns. Noch lange verfolgen wir auf dem Plotter über AIS den SAR-Kreuzer mit Ziel Alicante. Wir wünschen diesen 11 Personen in Gedanken alles Gute! Der Morgen kommt. Der Wind dreht etwas, die Windstärke bleibt. Unser Ziel ist zunächst einmal Cartagena. Den Kurs können wir aber mit den Passatsegeln nicht mehr anliegen lassen. Die Passatsegel rollen wir ein und setzen nur das Großsegel. Unser Kurs läuft jetzt quer zu den Wellen. Viel Bewegung ist im Schiff, die Markus nach der Freiwache ein wenig unterschätzt. Er überlegt sich, dass er ja schon mal Essen machen kann, steht also in der Pantry auf Socken, als eine Welle eMMa ordentlich nach Backbord neigen lässt. Die Kuschelsocken in Kombination mit dem Holzboden werden zur Rutschbahn und zack liegt er niedergestreckt mitten im Salon. Er ist rückwärts mit dem unteren Rippenbogen auf der Salonbank aufgeschlagen. Der Schmerz ist bei Markus heftig, bei Melanie machen sich Schreck und Sorgen gleichermaßen breit. Ist etwas gebrochen? Sind Organe verletzt? Ersteres kann nicht ausgeschlossen werden, letzteres ist zum Glück wohl nicht der Fall. Bewegung ist trotzdem kaum möglich. Wir laufen wie geplant Cartagena an, entscheiden uns aber für eine geschützte Ankerbucht für die Nacht. Der Wind kommt zwar perfekt für unsere Weiterfahrt, allerdings sind für nachts Böen mit 30 kn angesagt. Die brauchen wir nicht unbedingt unterwegs. Der Anker hält gut. Die Nacht wird für Melanie und eMMa ruhig, für Markus nicht so ganz, da jede Bewegung schrecklich schmerzt.

Donnerstag, 13.10.2022 - Wir sind früh wach und genießen die Morgenstimmung in der Bucht. Wir setzen noch in der Ankerbucht die Bäume für die Passatsegel, frühstücken, gehen Anker auf und nehmen Kurs auf Motril. Der Wind weht stabil, Markus erhält Schmerzmittel und viel Bettruhe und es läuft ganz gut.

Freitag, 14.10.2022 - Um Mitternacht herum erreichen wir das Cap und gleichzeitig schläft der Wind ein. Das war angekündigt. Also Segel weg und Motor an. Die See hat sich komplett beruhigt. Glatt wie ein Spiegel liegt sie im Mondlicht vor uns. Das Queren der Bucht von Almería wird mal wieder zum Geduldspiel mit den Fischern. Trotzdem genießen wir es sehr, ebenso den wunderschönen Sonnenaufgang am Morgen. Am Vormittag hören wir wieder ein Mayday Relay, dieses Mal von einem Tanker, wieder ein Flüchtlingsboot, diesmal sind wir jedoch nur stille Zuhörer. Und 15 sm vor Motril haben wir dann noch einmal einen heftigen Schreckmoment. Ein größeres Schlauchboot treibt halb abgesoffen im Wasser. Da keine Menschen zu sehen sind, keine Klamotten, Rucksäcke oder ähnliches und auch der Außenbordmotor am Dinghy fehlt, gehen wir davon aus, dass es zwar ein Flüchtlingsboot war, wovon die Personen aber abgeborgen wurden und das Boot versenkt werden sollte. Trotzdem wandern unsere Gedanken wieder zu der vorletzten Nacht. Drei Stunden später fahren wir in den Hafen von Motril ein. Unsere Freunde von der Nala haben uns nicht nur bereits beim Hafenmeister einen Liegeplatz besorgt, was gar nicht so einfach war, da der Hafen aus allen Nähten platzt, sondern stehen auch schon am Steg bereit und heißen uns herzlichst Willkommen. Wir fallen uns in die Arme und müssen uns ein paar Freudentränen wegwischen. Markus drücken sie natürlich nur ganz vorsichtig. Das Boot Nala steht im Moment an Land, da einige Reparatur- und Wartungsarbeiten erledigt werden müssen. Deshalb haben sie eine Ferienwohnung. Am Abend verabreden wir uns dort zum Grillen und Klönen. Es wird ein wunderschöner und sehr langer Abend.

Samstag, 15.10.2022 und Sonntag, 16.10.2022 - Die folgenden zwei Tage verschwimmen irgendwie. Wir holen Schlaf nach, räumen etwas auf. Kaufen ein, kochen Essen für uns und die Nalas und verbringen viele schöne Stunden gemeinsam.

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