Zeitraum: | 18.06.2022 - 22.06.2022 |
Revier: | Mittelmeer, Balearen, Mallorca - Italien, Elba |
Boot: | eMMa - Moody 44 |
Crew: | Markus Melanie |
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Wochenbericht 43 - 410 sm Nonstop - die Überfahrt nach Elba
Es ist Samstag, der 18.06.2022. Auch in der letzten Nacht herrschte wieder Flaute und auch heute Morgen werden wir vom Wasserflugzeug geweckt. Markus fährt noch einmal an Land um ein paar Einkäufe zu erledigen. Danach laufen bei uns die typischen Segelvorbereitungen ab. Noch einmal wird das Wetter gecheckt, der Motor kontrolliert, Trinkwasser produziert, das SUP luftfrei gemacht, das Dinghy verstaut. Natürlich wird auch unsere Seekoje wieder vorbereitet, besprochen was es unterwegs zu Essen geben soll und alles wird seefest verstaut.
Und dann steht der Abfahrtszeitpunkt fest und die Nalas kommen um 16 Uhr zum Tschüß-Sagen herüber. Sie überreichen uns eine kleine Papiertüte mit einem super lieben Care-Paket! Danke noch einmal dafür! Sogar das Mittelmeer-Fisch-Buch haben sie uns geschenkt, nicht ohne uns den Auftrag zu erteilen, dass wir, bis wir uns wiedersehen, jeden Fisch ankreuzen müssen, den wir bei unseren Tauch- und Schnorchelgängen sehen werden! Gut, dass wir die Karte erst später gelesen haben, denn die Tränen sind auch so schon nicht mehr aufzuhalten.
Es fällt uns allen sehr schwer Abschied zu nehmen. Noch mal sprechen, noch mal umarmen. Keiner möchte gehen, keiner drängt auf die Abfahrt. Doch irgendwann ist es dann doch soweit. Wir hatten 17 Uhr als Abfahrtszeit angesetzt und das war wohl auch ganz gut so. Denn sonst würden wir wahrscheinlich immer noch gemeinsam auf eMMas Deck sitzen und es herauszögern!
So steigen die Nalas in ihr Dinghy und paddeln zurück (ihr Dinghy-Motor streikt, auch er möchte wohl nicht, dass die eMMas abfahren). Und wir starten eMMas Motor und heben unseren Anker aus dem mallorquinischen Sandboden. Winken, umsehen, winken, weinen, sich wieder umsehen und weiter winken. Wir wussten, dass es nicht einfach wird, aber warum denn bitte so schwer!? Uns tröstet es ein wenig, dass wir wissen, dass wir uns in etwa 4 Monaten wiedersehen werden!
Das der Wind in der Bucht immer kräftiger weht, als draußen vorhergesagt ist, haben wir in den letzten zwei Tagen ja bereits gut beobachten können. 16 bis 18 kn auf die Nase, also kreuzen wir aus der Bucht heraus. Schließlich sind wir ein Segelboot! Nachdem wir auch den letzten Felsvorsprung hinter uns gelassen haben, legt sich der Düseneffekt leider nicht. Die Welle wird unangenehm hoch, der Wind erreicht immer wieder 24 kn. Einziger Vorteil ist, dass wir jetzt den Kurs direkt anliegen lassen können. Wir entscheiden uns zu reffen. Markus geht dazu an den Mast, Melanie steht am Ruder. Natürlich tragen beide ihre Rettungswesten und sind mit Lifebelts gesichert. Markus verkleinert die Segelfläche, aber die Klemmen von der Großreffleine sind noch geöffnet und so hält das Reff nicht. Melanie will die Klemmen schließen, die im Cockpit unter der Sprayhood zu finden sind. Sie macht den Schritt nach vorne genau in dem Moment, als eine hohe Welle eMMa noch weiter auf die Seite legt als zuvor. Melanie rutscht mit dem Fuß weg und stürzt kopfüber von der Steuerbordbank ins Cockpit. Irgendwie fängt sie sich dabei so ab, dass sie nicht gleich weiter durch den Niedergang fliegt. Markus bekommt, am Mast stehend, einen Riesenschreck, aber er hat alle Hände voll mit dem Segel zu tun. Er ruft, Melanie bist Du okay? Sie zeigt ihm das Okay-Zeichen aus der Taucher-Zeichensprache. Es stimmt nicht ganz, aber jetzt ist es erst einmal wichtig, dass die Klemmen geschlossen und die Segelfläche dadurch verkleinert wird. Als die Segel drei Minuten später richtig stehen, kommt er ins Cockpit und begutachtet, Melanies Blessuren. Das linke Handgelenk ist geprellt, das linke Knie tut weh, die linke Hüfte und die linke Schulter weisen bereits jetzt blaue Flecke auf. Aber alles ist beweglich, es scheint nichts gebrochen zu sein und mit dem Kopf ist sie, zum Glück, auch nicht angestoßen. Puh, noch einmal Glück gehabt!
Wir gehen unsere Optionen für die Überfahrt durch. 1.) wenn Wind und Welle zunehmen oder auch nur so besch… bleiben, dann können wir eine Bucht auf Menorca anlaufen und dort abwettern, 2.) beruhigt sich die Lage etwas, dann fahren wir bis Sardinien durch und können dort erst einmal ankern oder 3.) wir entscheiden uns bis Elba durchzusegeln. Es gibt also genügend Optionen oder Ideen, wie wir immer sagen!
So geht es in die erste Nacht. Auf der Nordseite von Menorca nimmt die Welle deutlich ab. Der Wind wird nur minimal weniger, aber so gerefft, wie wir jetzt unterwegs sind, läuft es gut. Wir entscheiden uns dafür die 1.) Idee zu verwerfen und weiter zu segeln. An der nordöstlichen Ecke von Menorca haben wir noch einmal eine deutliche Wellenzunahme. Aber auch die nimmt nach einiger Zeit wieder ab und alles pendelt sich auf den vorhergesagten Werten ein. So segeln wir durch die Nacht und in den Tag. Wir wechseln uns mit den Wachen ab, hören Hörbücher, essen kleine Snacks und warme Mahlzeiten, trinken Wasser und versuchen in unseren Freiwachen zu Schlafen. Das funktioniert alles immer besser und schon bald haben wir einen ganz guten Rhythmus für uns gefunden.
Wir haben Menorca bereits fast 100 sm hinter uns, als der erste Mayday-Relay Funkspruch (eine Art Notruf-Weiterleitung an alle Schiffe) eingeht. Ein anderes Boot, die Dolce Vita (das Boot kennen wir nicht), ist in Seenot. Melanie hat gerade Wache und schaut sich die gemeldete Position auf dem Plotter an. Sie liegt über 130 sm von uns entfernt. Helfen können wir da nicht. Es bleibt bei dieser Überfahrt nicht der einzige Mayday-Relay. Es folgen am Montag noch zwei weitere, die genauso weit bzw. weiter entfernt sind. Einer nördlich von Menorca, einer oberhalb von Elba. Was ist denn im Moment bloß los? Wir sind froh, dass wir unsere Positionsmeldungen per Pactor-Modem und Amateurfunkanlage als Email an unsere Nalas senden können. Hoffentlich machen sie sich keine Sorgen um uns! Auch GRIP-Files (Wetterdaten) können wir dank dieser Technik auf See empfangen, völlig unabhängig von Internet und Mobilfunknetz. Es ist beruhigend, dass es so gut funktioniert!
Etwa 30 sm vor Sardinien bekommen wir sporadisch auch wieder Mobilfunk-Empfang. Nicht, dass wir danach suchen würden, aber die Handys haben wir meistens nicht im Flugmodus. So pinkt es in kurzen Abständen gleich mehrfach und es trudeln alle WhatsApp-Nachrichten ein, die in den letzten zwei Tagen uns nicht mehr erreicht haben. Darunter ist auch eine Nachricht in unserer Biskaya-Nachzügler-Gruppe, die uns den Atem raubt. Ein Boot, dessen Eigner wir nur flüchtig kennen durch die Vorbereitungszeit vor der Reise, ist auf dem Nordatlantik gesunken. So eine Nachricht auf See zu empfangen, ist echt nicht einfach zu verkraften. Wir reden lange und viel miteinander. Das hilft!
Trotz all dieser unschönen Momente, die einem zu Denken geben, gibt es aber auch tausende wunderschöne Momente, die einem zeigen, warum man das alles macht. Da ist zunächst einmal unser Zusammenhalt, unser Teamwork, die kleinen Gesten der Rücksichtnahme, der liebevollen Zuneigung, wenn man den anderen noch eine halbe Stunde schlafen lässt, ihm die Wasserflasche wieder auffüllt, ihr etwas zu Essen anbrät. Das alles geht allerdings nur, wenn man dafür seine eigenen Grenzen respektiert und sich diese eingesteht. Da ist die Zeit für sich selbst, der Blick über das endlose Meer, das Rauschen der Wellen und des Windes, aber auch die Stille bei Flaute, die nur durch unseren gluckernden, tuckernden Motor unterbrochen wird. Diese Momente, wenn man vor sich auf einer silbergrauen, fast glatten Oberfläche, die wie zähflüssiges Blei oder Quecksilber wirkt, plötzlich eine Schule an Pilotwalen entdeckt. Wenn sich nachts der Sternenhimmel über einem weit ausbreitet, kein Licht diesen Blick trübt und die Milchstraße klar und wie ein leuchtendes Band über uns steht. Diese Momente, wenn die Bugwelle von eMMa dafür sorgt, dass Leuchtquallen zu leuchten beginnen und diese Leuchtflecken im Wasser an uns vorbeiziehen. Dieser Moment, wenn der Mond aufgeht, zunächst rötlich und schwach und er dann immer heller wird, bis sich sein Licht auf dem beruhigten Wasser in der Straße von Bonifacio spiegelt. Die Momente, wenn das Leuchtfeuer einer Insel am Horizont erscheint und der wiederkehrende Schein im immer gleichen, und einzigartigen Rhythmus, für Orientierung sorgt. Momente, wie der, wenn am Horizont nach einem langem Seestück Land erscheint. Mal schon viele Seemeilen voraus, wie diesmal Sardinien, mal erst wenige Seemeilen vor dem Ziel, wie es uns mit Elba ergeht. Es ist der Moment, wenn man eine andere, uns bekannte Segelyacht (die KISS) auf dem AIS nur 10 sm hinter uns entdeckt, aber sie mitten in der Nacht dann doch lieber nicht anfunken möchte, weil man auch deren Freiwache nicht stören möchte. Der Moment, als uns bewusst wird, dass wir beide auf dieser Überfahrt kein bisschen seekrank wurden! Der Moment, wenn man in der Koje oder im Cockpit liegt und ein Buch, was man geschenkt bekommen hat, während der Fahrt lesen kann, was vorher nie ging. Dann gibt es noch die Momente, die im ersten Moment nicht so schön sind, die einem einen Schrecken einjagen. So ergeht es uns zum Beispiel, als Markus sich die Hände waschen möchte und aus unserem Wasserhahn eine bräunliche Brühe sprudelt. Es stinkt nicht und der Geschmack, Melanie spült sich beim Zähneputzen damit sogar den Mund aus, ist auch nicht ekelig. Der Schreck ist da, aber sofort folgt die Erleichterung. Wir haben mehr als genug Trinkwasser im Vorfeld produziert und in Kanistern abgefüllt. Selbst wenn das Wasser im Tank komplett unbrauchbar wäre, ist es für uns kein Problem. Und unser Wassermacher würde auch auf See funktionieren. Da ist dieser Moment, als Melanie Wache hat und plötzlich der Autopilot verrückt spielt. Sie stellt ihn auf Standby und geht per Hand Ruder. Dabei beobachtet sie sehr irritiert die Anzeige des Displays. Die Gradzahlen springen wild hin und her, die Anzeige für den Ruderausschlag spring von hart Backbord auf hart Steuerbord und wieder zurück. Die Ursache dafür finden wir rasch. Markus ruft über Funk Emails ab und nutzt diesmal dafür eine andere Frequenz als bei den letzten Malen. Diese Funkfrequenz mag aber unser Autopilot überhaupt nicht. Ein anderes Funkband und alles funktioniert wieder normal, so wie es soll. Natürlich gibt es nicht nur schöne Momente, aber sie überwiegen eindeutig!
Und so entscheiden wir uns in die Straße von Bonifacio einzulaufen und uns keine Ankerbucht zu suchen. Wir segeln bis nach Elba durch. Die Entscheidung erweist sich als richtig, auch wenn wir zunächst einfach nicht von der Küste Korsikas loskommen.
Stundenlang segeln wir parallel dazu. Der angekündigte Wind aus Süd ist ein Wind aus Südost, der uns zu einem Amwindkurs zwingt. Dazu eine Welle, die längs zur Schiffsrichtung verläuft. Aber es läuft und bis auf zwei Flautephasen segeln wir.
Am Mittwoch Morgen, es ist der 22.06.2022, erreichen wir nach 3 1/2 Tagen nonstop auf See Elba! 410 sm am Stück! Das ist das längste Seestück, was wir bisher nonstop zurückgelegt haben. Für alle Nichtsegler: das sind rund 760 km, die wir mit einer Geschwindigkeit von 5 bis 6 kn, manchmal mehr, manchmal auch etwas weniger, zurück gelegt haben. Das ist etwa doppelt so schnell, wie ein durchschnittlicher Fußgänger läuft.
Sind wir glücklich? Ja! Mit dem Erreichen von Elba haben wir unsere eigene Kurslinie gekreuzt. Eine Kurslinie, die wir 2016 bei der Überführung von eMMa nach Deutschland virtuell ins Mittelmeer gezeichnet haben. Damit ist unsere Umrundung von Westeuropa komplett! 7317 sm haben wir seit dem Kauf mit eMMa zurückgelegt. Schleusen, Kanäle, Schiffshebewerke, Brücken, mit und ohne Mast, Meere, Seen und den Atlantik haben wir mit ihr befahren. Und in einem Punkt zweifeln wir nie - sie ist genau das richtige Schiff für uns! Und sie hält viel mehr aus, als wir! Sie gibt uns immer wieder ein sicheres Gefühl! Gut, dass sie uns gefunden hat!
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